Persönlichkeit und ICH sind zwei Seiten einer Münze, genauso wie Individualität und Selbst zwei Seiten einer Münze sind.

Die Persönlichkeit hat ein Zentrum – das Zentrum wird ICH oder EGO genannt. Weil die Persönlichkeit selbst falsch ist, ist das Zentrum auch falsch.

Jetzt das zweite Paar: Individualität und Selbst. Individualität ist der Umfang. Selbst ist das Zentrum. Die sind echter als Persönlichkeit und ICH, echter als das erste Paar.  Aber noch nicht die ultimative Wahrheit.

Wenn die Persönlichkeit fallen gelassen wird, wirst du zur Individualität. Wenn du zu einem Individuum wirst tritt ein Gefühl von Selbst auf – „ICH BIN“.
Individualität ist ein einfacher Ausdruck von was auch immer du bist, und ein tiefes Gefühl von „ICH BIN“.

Aber Buddha und Jesus können nicht mal Individuums genannt werden, weil sie noch ein wenig weiter gehen, wo sogar das Gefühl des Selbst verschwindet.
                                                                                                Osho 

Entstehung des ICHs

 

Ein Kind kommt ohne Wissen, ohne Bewusstsein seines eigenen Selbst auf die Welt. Und das neugeborene Kind nimmt nicht als erstes sich selbst wahr, es nimmt zuerst die anderen wahr. Das ist natürlich, denn seine Augen öffnen sich zur Welt draußen, seine Hände berühren die anderen, seine Ohren hören die anderen, seine Zunge schmeckt das Essen, und seine Nase nimmt Gerüche wahr. Alle seine Sinne öffnen sich zur Außenwelt.


So wächst ein Kind heran. Zuerst kommt ihm das „DU“ zu Bewusstsein - die anderen - und dann nimmt es, im Gegensatz dazu, allmählich sich selbst wahr.

Doch dieses Gewahrsein ist ein gespiegeltes Gewahrsein. Das Kind ist sich nicht bewusst, wer es ist. Es ist sich nur der Mutter bewusst und was sie von ihm denkt. Wenn sie lächelt, wenn sie das Kind anerkennt, wenn sie ihm sagt: „Du bist lieb‘“ und es umarmt und küsst, dann fühlt sich das Kind gut mit sich selbst.


Und so wird das EGO geboren. Durch die Anerkennung, Liebe und Fürsorge der anderen fühlt sich das Kind wohl, fühlt es sich wertvoll, fühlt es, dass es Bedeutung hat.

Ein Zentrum entsteht. Doch dieses Zentrum ist ein gespiegeltes Zentrum, es ist nicht das wirkliche  Sein des Kindes. Das Kind weiß nicht, wer es ist. Es weiß nur, was andere von ihm halten.


Und das ist das ICH: die Widerspiegelung dessen, was andere denken.

Ein Kind, das von allen als Taugenichts betrachtet wird, das von niemandem anerkannt wird, das keiner anlächelt, wird auch ein ICH haben – ein krankes ICH:   traurig, verstoßen, verwundet, ein ICH, das sich minderwertig und wertlos fühlt.


Auch das ist ein ICH, auch das ist nur eine Widerspiegelung.


Anfangs ist es  die Mutter – und am Anfang bedeutet die Mutter die ganze Welt. Danach kommen noch andere dazu und die Welt wird größer. Und je größer die Welt wird, umso komplexer wird das ICH, weil umso mehr Meinungen gespiegelt werden.

 Das ICH ist ein akkumulatives Phänomen, eine Begleiterscheinung des Zusammenlebens mit anderen.


Würde ein Kind völlig allein aufwachsen, würde es nie ein ICH entwickeln. Aber damit wäre ihm nicht geholfen. Es würde auf dem Stand eines Tieres bleiben, und das hieße ebenso wenig, dass es sein wirkliches Selbst kennenlernen würde.


Das Wirkliche kann man nur mit Hilfe des Falschen erkennen, deshalb ist das ICH eine Notwendigkeit. Man muss durch das ICH hindurchgehen – es ist eine Wachstumsdisziplin. Das Wirkliche kann man nur durch das Illusorische erkennen. Die Wahrheit kann man nicht auf direktem Weg erkennen, zuerst musst du wissen, was unwahr ist.

Das ICH ist eine Notwendigkeit, eine soziale Notwendigkeit, es ist ein Nebenprodukt der Gesellschaft. Gesellschaft bedeutet: deine Umwelt – nicht du, sondern alles, was dich umgibt.


Und jeder Mensch spiegelt dich. Du gehst zur Schule, und der Lehrer spiegelt zurück, wer du bist. Du befreundest dich mit anderen Kindern, und sie spiegeln zurück, wer du bist. Nach und nach fügt jeder etwas zu deinem ICH hinzu.


Das Kind ist sich überhaupt nicht bewusst, dass es ein eigenes Zentrum hat. Die Gesellschaft gibt ihm ein Zentrum und mit der Zeit ist das Kind davon überzeugt, dass dies sein Zentrum ist – das ICH,  das ihm die Gesellschaft anerzieht.


Ein Kind kommt nach Hause – wenn es in der Schule Klassenbester geworden ist, dann ist die ganze Familie glücklich. Es wird umarmt und geküsst, es wird auf die Schultern gesetzt, und man vollführt einen Freudentanz und sagt ihm: „Was für ein tolles Kind du bist!“ Du bist unser Stolz. Man gibt ihm ein ICH, ein subtiles ICH. Und wenn das Kind niedergeschlagen nach Hause kommt, erfolglos, wenn es versagt hat, wenn es sitzengeblieben oder der Klassenletzte ist, dann wird sich ihm keiner zuwenden, und das Kind fühlt sich abgelehnt.

Die Vorstellung, wer du bist, bekommst du also von den anderen. Es ist keine direkte Erfahrung. Die anderen sind es, die deinem Zentrum Gestalt geben.


Dieses Zentrum ist falsch, denn dein wahres Zentrum trägst du in dir. Niemand anders hat damit etwas zu tun. Niemand bildet es. DU kommst damit zur Welt, du wirst damit geboren.

Du hast also zwei Zentren. Das eine bringst du mit, es kommt von der Existenz selbst. Und das andere, das von der Gesellschaft geformte Zentrum, ist das ICH.  Es ist etwas Künstliches.


Das wahre Zentrum ist die Seele, das Selbst, das Göttliche in dir, die Wahrheit – wie immer du es nennen willst.